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Autor Betreff: Schopenhauer
Benway




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Motto: fire walk with me

[*] Verfasst am: 23.3.2007 um 23:20
Schopenhauer



Kennt jemand diesen klassischen deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts, der sein Leben damit verbracht hat, reaktionäre Schriften über das Leiden in der Welt zu verfassen und das damit verdiente Geld preußischen Veteranenvereinen zu spenden? Nun, ich hatte auch meine Vorurteile, aber inzwischen haben mir 30 Minuten Schopenhauer schon so oft (gefühlt) das Leben gerettet, dass ich bereit bin, darüber hinwegzusehen.
Nie ist mir ein Denker begegnet, der so schonungslos offen schreibt und so weit davon entfernt ist, die Dinge einfach so hinzunehmen wie sie zu sein scheinen. Keine andere Ethik als die Schopenhauers macht es möglich, Lebewesen, die man verachtet zu respektieren. Und kein anderes Philosophenleben war ein derartiges Außenseiterdasein, eine Totalverweigerung in der Selbstgenügsamkeit.
Vielleicht poste ich hier mal, was mir von Schopenhauers Philosophie konkret etwas bedeutet...gerade möchte ich aber nur erfahren, ob es unter euch vielleicht noch jemanden gibt, der dieser Philosophie durch Zufall irgendwann einmal begegnet ist. Auf jeden Fall würde ich jedem, der bereist ist, sich auf eine zweihundert Jahre alte Denk- und Sprachebene zu begeben (ich kann auch das Gegenteil sehr gut verstehen, aber im Falle Schopenhauer lohnt es sich nun wirklich), diesen Ausnahmemenschen wärmstens ans Herz legen...ich teile mir meine Zeit mit der „Welt als Wille und Vorstellung“ und den „Parergra“ auf jeden Fall gut ein...jedes Mal, wenn ich überzeugt bin, in dieser Welt nicht länger leben zu können, lese ich ein paar Seiten Schopenhauer und staune darüber, welche Klarheit der Erkenntnis und gleichzeitig Standhaftigkeit des Willens diese Welt auch hervorbringen kann. Oder anders als in den Termini seiner Philosophie ausgedrückt: Schopenhauer war der erste Cyberpunk, der erste Philosophieterrorist, der radikalste Sozialist, der größte Weltverächter, der wütendste Gesellschaftsverbesserer, der Über-Nietzsche, der größte Zyniker, der überzeugteste Idealist...einer der ganz wenigen Totalaussteiger, die sich nicht das Leben nahmen oder es verlernt haben, in einer für andere Menschen verständlichen Sprache zu reden, und der fähig war, seine subversiven Gedanken in ein geschlossenes System zu gießen...ein unglaublicher Zufall und gleichzeitig ein sehr leidensreiches Leben, hin und her gerissen zwischen Selbstmord und Mitteilungsbedürfnis...ich bin sehr froh, dass dieser Zufall, diese Kraftanstrengung, nur 200 Jahre von mir entfernt statt gefunden hat und nicht 50 000...
Nun, hat ihn jemand hier gelesen und kann meine Laudatio verstehen oder in der Luft zerreißen? Ich auf jeden Fall bin Schopenhauerianer mit Leib und Seele...so werde ich leben (wobei es da nicht so viel ändert, ob man sich gewisse Dinge bewusst macht) und vor allem sterben.
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Kebap






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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 01:32


Ja, ich hab bisschen Schopenhauer gelesen. Ist schon 5 Jahre oder so her und wenn ich mich nicht irre, wurde er mir hier in der Unity empfohlen. Seltsam, wie sich Kreise schließen. Na jedenfalls fand ich ihn ganz gut, wenn auch manchmal sehr verbittert. Ich würde dir nicht zustimmen, dass es keine andere hilfreiche Ethik gibt. Wahrscheinlich sieht es für dich so aus, weil du keine bessere kennst. Sie ist echt schon besser als vieles was heute 200 Jahre später so gefeiert wird.
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Benway




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Motto: fire walk with me

[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 01:44


[QUOTE]Ich würde dir nicht zustimmen, dass es keine andere hilfreiche Ethik gibt. Wahrscheinlich sieht es für dich so aus, weil du keine besserekennst. Sie ist echt schon besser als vieles was heute 200 Jahre später so gefeiert wird.[/QUOTE]

Nun, ich kenne kurz gesagt keine andere Ethik, die nicht auf Respekt (vor der Fähigkeit zur Selbsterhaltung, vor der "Vernunft", vor dem Göttlichen im Menschen...) sondern auf Mitleid basiert...und Mitleid wiederum kann man metaphysisch denke ich nicht umfassender begründen, als Schopenhauer das schon getan hat. Finde es beim Lesen der parergra immer wieder faszinierend, wie man sich ohne jeden logischen Bruch sicher sein kann, dass Frauen zum vernünftigen Handeln nicht in der Lage, Neger rassisch minderwertig udn Homosexuelle krankhaft degeneriert sind...und dabei trotzdem ein Frauenwahlrecht fordern, aufs schärfste die sofortige Aufhebung der Sklavenhalterei fordern und (wohl weltweit als der erste Philosoph und "Psychologe") homosexuelle Beziehungen wo sie von beiden Partnern gewünscht werden bejahen kann...und das alles aus Mitleid. Wenn ich dagegen die schwammigen Begrifflichkeiten und das salbungsvolle Geschwurbel über 'autoritätslosen DIksurs' und 'transzendente Idee des Menschlichen' eines Habermas oder Nida-Rümelin lese, die sichbeide aktiv an der Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen beteiligen, wird mir wieder ganz anders und ich muss mich durch ein bisschen Schopenhauer und evtl ein paar buddhistische Mantras wieder beruhigen...
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jan91






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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 02:24


ich hab den namen an sich schon mal wo gehört, aber mich noch nicht weiter damit befasst.
da ich mich für philosphie interessiere, könnte das schon mal ein mann sein, den ich mir mal durchlesen werde, wenn ich sowas in die finger kriege...
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...






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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 04:16


Ich hab' ja mal Philosophie studiert und kenn' den natürlich auch, aber nicht eben freiwillig.

Mir sagt sein Stil im schriftlichen nicht zu. Ich mag es eher knackiger formuliert und daher bin ich eher Nietzsche-Fan, auch wenn der manchmal nur haarsträubende Scheiße schreibt.

Schopenhauer ist mir persönlich etwas zu pragmatisch und da ist mir einfach Marx lieber aus dieser Epoche.
(Oder noch besser: Kohelet aus dem AT)
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Xoc






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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 05:45


Ich bevorzuge auch Nietzsche vor Schopenhauer, alleine schon, weil Nietzsche ziemlich geil schreiben kann. Ausserdem ist Nietzsche irgendwie kraftvoller.

Und Doc, du kennst keine andere Ethik, die auf Mitleid basiert?
Also hm, ich finde das mehr oder weniger eine Standard Basis, wenn nicht sogar die Standard Basis für Ethik.

Und Mitleid kann man prima evolutionsbiologisch begründen und die Evolution wiederrum ist logisch begründbar und damit auch das Mitleid.
Metaphysisch muss ich es nicht begründen, wenn ich es auch physisch begründen kann.
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Benway




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Motto: fire walk with me

[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 12:42


[QUOTE]Ich bevorzuge auch Nietzsche vor Schopenhauer, alleine schon, weil Nietzsche ziemlich geil schreiben kann. Ausserdem ist Nietzsche irgendwiekraftvoller.[/QUOTE]

Ich finde Schopenhauer weitaus radikaler als Nietzsche...nur kommt diese Radikalität tatsächlich nur zwischen den Zeilen rüber, da er sich anders als Nietzsche in seinen Hauptwerken die Aufgabe stellt, ein geschlossenes philosophisches System aufzustellen. Schopenhauer ist für mich ein großer Philosoph und Künstler, Nietzsche "nur" ein großer Künstler. Wobei mich persönlich der Schreibstil von Schopenhauer in seiner Klarheit, seinem verschmitzten Zynismus und seiner Sprachmelodik weitaus mehr beeinflusst hat als die Metaphern, die sich Nietzsche hat einfallen lassen.
Radikaler als Nietzsche finde ich Schopenhauer, weil er sich der passiven Negation bedient...er verwirft 2 000 Jahre Kulturgeschichte, 2 000 Jahre Christentum und 2 000 Jahre patrizentrische Werte ganz nebenbei, ohne dass er dabei die positiven Entwicklungen übersieht, die nur durch diese geschichtlichen Irrtümer möglich werden konnten. Nietzsche stellt sich als Anti-Christ aktiv gegen 2 000 Jahre verfehltes Menschsein und macht aus diesem Dagegen-Sein eine große Sache, das heißt er erkennt die Legitmität christlich-patriarchaler Ideen viel stärker an als Schopenhauer. Außerdem habe ich beim Lesen von Nietzsche immer wieder Zweifel, inwiefern seine anthropologische Konzeption tatsächlich einen Neuanfang darstellt, ob der Übermensch christliche Ideen nicht vielmehr nur konsequent zu Ende führt. Aber das müsste ich mal halbwegs systematisch schriftlich festhalten, damit es diskussionstauglich wird.

[QUOTE]Und Doc, du kennst keine andere Ethik, die auf Mitleid basiert? [/QUOTE]

Nein, nenn mir doch mal eine. Jede klassische europäische Ethik distanziert sich ausdrücklich von bloßer Empathie, Mitleid, Caring als Wurzel der Ethik, eben weil diese Eigenschaften wie von dir als nur natürlich und ethisch damit gerade nicht wertvoll angesehen werden...statt dessen werden metaphysische Begründungen gesucht, die immer auf Respekt hinauszulaufen scheinen (unser Staat bekennt sich zB zur Kantschen Pflichtethik - die basiert darauf, dass ich den Anderen als vernunftbegabtes Wesen wahrnehme und ihn deshalb als moralisches Subjekt behandle - Frauen, Neger, Irre oder Tiere haben laut Kant allerdings keine Vernunft und damit auch keinen Anspruch auf ethische Behandlung. Schopenhauer hätte ihm im ersten Punkt voll zugestimmt, davon unabhängig aber dennoch vehement ethisches Handeln auch gegenüber allem vom handelnden Subjekt nicht als lebenswert anerkannten Leben gefordert - diese Einschätzung macht für ihn keinen Unterschied, wichtig ist nur, dass der Andere Teil am Leiden der Welt hat und daher Schonung verdient. Das Christentum, Kant und Nietzsche kann man mE problemlos in Einklang mit der industriellen Vernichtung menschlichen Lebens bringen, wie sie die Nazis betrieben haben oder heute verschiedene multinationale Konzerne betreiben, ohne dabei einer Fehlinterpretation zu unterliegen, Schopenhauers Ethik dagegen niemals).

[QUOTE]Und Mitleid kann man prima evolutionsbiologisch begründen und die Evolution wiederrum ist logisch begründbar und damit auch dasMitleid.[/QUOTE]

Eben - Mitleid als Erscheinung (also durch unsere ebenfalls evolutionär entstandenen Denkkategorien betrachtet) scheint eine ganz natürliche, "logische" und deshalb ethisch überhaupt nicht bedenkenswerte Eigenschaft zu sein. Schopenhauer ist aber der einzige Philosoph, der versucht, Mitleid als Ding an Sich zu erforschen und damit metaphysisch zu begründen - als ein kurzfristiges Verlöschen des principio individuationis, als die intuitive Einsicht, dass alles Leben qualitativ gleich ist, dass der blinde Lebensdrang einer Amöbe sich nur dem Ausmaß nach von der eigenen Existenz unterscheidet und dass alles Leben Schonung verdient hat, aus dem einfachen Grund, dass es Leben ist und leidet.
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Xoc






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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 17:26


Ich denke, dass die Vorliebe für bestimmte Philosophen eine persönliche Frage ist, da müssen wir uns also nicht drüber streiten.

[QUOTE]Nein, nenn mir doch mal eine. Jede klassische europäische Ethik distanziert sich ausdrücklich von bloßer Empathie, Mitleid, Caring alsWurzel der Ethik, eben weil diese Eigenschaften wie von dir als nur natürlich und ethisch damit gerade nicht wertvoll angesehen werden.[/QUOTE]

Die christliche z.B. siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Mitleid
Oder einfach auch die gelebte Alltagsethik, in der spielt Mitleid eine grosse Roll.

[QUOTE]..statt dessen werden metaphysische Begründungen gesucht, die immer auf Respekt hinauszulaufen scheinen (unser Staat bekennt sich zB zur Kantschen Pflichtethik - die basiert darauf, dass ich den Anderen als vernunftbegabtes Wesen wahrnehme und ihn deshalb als moralisches Subjekt behandle - Frauen, Neger, Irre oder Tiere haben laut Kant allerdings keine Vernunft und damit auch keinen Anspruch auf ethische Behandlung.[/QUOTE]

Als zumindest Kants Kategorischer Imperativ scheint mir ohne Probleme auf Frauen, Neger, Irre und Tiere anwendbar unabhängig davon, ob Kant diese Intensionen hatte, es ist mehr eine Frage, wie abstrakt man die Maxime des eigenen Handelns wählt.

[QUOTE]Schopenhauer hätte ihm im ersten Punkt voll zugestimmt, davon unabhängig aber dennoch vehement ethisches Handeln auch gegenüber allem vom handelnden Subjekt nicht als lebenswert anerkannten Leben gefordert - diese Einschätzung macht für ihn keinen Unterschied, wichtig ist nur, dass der Andere Teil am Leiden der Welt hat und daher Schonung verdient. Das Christentum, Kant und Nietzsche kann man mE problemlos in Einklang mit der industriellen Vernichtung menschlichen Lebens bringen, wie sie die Nazis betrieben haben oder heute verschiedene multinationale Konzerne betreiben, ohne dabei einer Fehlinterpretation zu unterliegen, Schopenhauers Ethik dagegen niemals).[/QUOTE]

Wenn mir jemand sagt, sonstwo sterben (durch mein Verhalten) zig tausend Menschen, dann empfinde ich nicht wirklich Mitleid mit ihnen, dass heisst, bei solchen anonymen Fällen ist reines Mitleid nicht wirklich gut geeignet um zu ethischem Handeln zu verleiten, da erscheint mit Kants Kategorischer Imperativ noch eher anwendbar.

[QUOTE]Eben - Mitleid als Erscheinung (also durch unsere ebenfalls evolutionär entstandenen Denkkategorien betrachtet) scheint eine ganz natürliche,"logische" und deshalb ethisch überhaupt nicht bedenkenswerte Eigenschaft zu sein. [/QUOTE]

Den Schluss verstehe ich ehrlich gesagt nicht.
Mitgefühl, Gerechtigkeitsempfinden und Egoismus sind für mich das Fundament der Ethik schlechthin. Ohne solche gegebenen, natürlichen, emotionalen Eigenschaften, die bereits an und für sich richtiges Handeln in ihrem Sinne aufzeigen, scheint es mir nur möglich zu sein, eine Ethik völlig willkürlich und beliebig zu begründen.

Zitat
Schopenhauer ist aber der einzige Philosoph, der versucht, Mitleid als Ding an Sich zu erforschen und damit metaphysisch zu begründen - als ein kurzfristiges Verlöschen des principio individuationis, als die intuitive Einsicht, dass alles Leben qualitativ gleich ist, dass der blinde Lebensdrang einer Amöbe sich nur dem Ausmaß nach von der eigenen Existenz unterscheidet und dass alles Leben Schonung verdient hat, aus dem einfachen Grund, dass es Leben ist und leidet.


Deiner Aussage ansich kann ich zustimmen. Aber "Mitleid als Ding ansich", nunja, damit kann ich überhaupt nichts anfangen, schliesslich ist Mitleid kein Ding sondern "nur" ein Verhältnis zwischen einem Leidenen und einem Mitleidenden.
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Lonewolf




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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 19:21


Was den Schreibstil anbelangt, kann ich mit Schopenhauers abgeklärten, souveränen Stil auch mehr anfangen als mit Nietzsches etwas, nun ja, selbstverliebter Hysterie. Ist allerdings schon etwas her seitdem ich "Die Welt als Wille und Vorstellung" und "Aphorismen zur Lebensweiheit" gelesen habe; problematisch ist und bleibt für mich eben aus rein erkenntnistheoretischer Perspektive der Analogieschluss vom "Willen" auf jede erdenkliche Form von Erscheinung, und damit steht und fällt eben letztlich nicht nur Schopenhauers Metaphysik, sondern auch seine Ethik. Dennoch gehören für mich seine ethischen Forderungen mit zum Überzeugensten, eben weil sie ein von jedem abstrakten "Wert" losgelöstes Plädoyer enthalten, ähnlich Camus' Forderung nach Solidarität/Brüderlichkeit angesichts einer unergründbaren, "sinnlosen" Welt.
Tatsächlich sind Schopenhauers Werke, neben "Der Mensch in der Revolte" wohl mit das effizienteste Gegengift wider jede unrechtmäßige Aneigung von Welt und Menschheit.
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Benway




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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 22:16


[QUOTE]Die christliche[/QUOTE]

Na gut, Eigentor, ich meinte klasssiche philosophische Ethiken ;) Die Grundlage der neuttestamentarischen Ethik ist wie Schopenhauer nicht als erster bemerkt hat tatsächlich das reine Mitleid...die gesamtchristliche Ethik hat aber natürlich auch Züge des AT, d.h. von formalistischer Gesetzesethik...Erich Fromm würde sagen, es ist eine Mischung patrizentrischer und matrizentrischer Werte, von bedingter Liebe und unbedingter Liebe.
Wenn man die reinen Lehren Jesu (soweit sie sich historisch einigermaßen belegbar isolieren lassen) also als geschlossenes ethisches System auffasst, dann würde ich sie als eine "Mitleidsethik" akzeptieren.

[QUOTE]Oder einfach auch die gelebte Alltagsethik, in der spielt Mitleid eine grosse Rolle.[/QUOTE]

Im Alltag gibt es für mich ethisches Handeln, aber keine Ethik (Wissenschaft von der Sittlichkeit). Was man machen kann, ist Handlungen einen ethischen Charakter zu- oder absprechen...Schopenhauer dürfte dabei der einzige Philosoph sein, der unreflektiertem Handeln wie es im Alltag mehrheitlich vorkommt sittlichen Charakter zuspricht.

[QUOTE]Als zumindest Kants Kategorischer Imperativ scheint mir ohne Probleme auf Frauen, Neger, Irre und Tiere anwendbar unabhängig davon, ob Kantdiese Intensionen hatte, es ist mehr eine Frage, wie abstrakt man die Maxime des eigenen Handelns wählt.[/QUOTE]

In den Prämissen zum kategorischen Imperativ nennt Kant klar die immanente "Vernunft" des Gegenübers als Voraussetzung, dass ich ihn als moralisches Subjekt behandeln kann. Tiere fallen deshalb bekanntlich heraus, wie Kant selbst in seinen Hauptschriften bemerkt. An anderer Stelle (einer Vortragsmitschrift) spricht er allerdings auch Frauen, Negriden, Geisteskranken und noch so einigen mehr die Fähigkeit zum vernünftigen Handeln ab, deswegen glaube ich behaupten zu können, dass der kategorische Imperativ so wie von Kant beschrieben (und dazu gehören auch die Prämissen) auf mehr als die Hälfte der Menschheit und mehr als 99% allen Lebens auf diesem Planeten nicht angewendet werden darf. Als ethische Maxime versagt er für mich damit ganz klar.

[QUOTE]Wenn mir jemand sagt, sonstwo sterben (durch mein Verhalten) zig tausend Menschen, dann empfinde ich nicht wirklich Mitleid mit ihnen, dass heisst, bei solchen anonymen Fällen ist reines Mitleid nicht wirklich gut geeignet um zu ethischem Handeln zu verleiten, da erscheint mit Kants Kategorischer Imperativ noch eher anwendbar.[/QUOTE]

Wenn du meinst...Kant würde freilich erstmal fragen, ob die Menschen beim Sterben denn nun objektiviert werden oder nicht (und wenn er seine Prämissen konsequent durchdacht hätte, natürlich auch ob es sich dabei um männliche, weiße, heterosexuelle Individuen handelt).

[QUOTE]Den Schluss verstehe ich ehrlich gesagt nicht. [/QUOTE]

Die Begriffe "Erscheinung" und "Ding an Sich" bitte beide gemäß der Definition von Kant lesen (http://de.wikipedia.org/wiki/Ding_an_sich), dann sollte es klarer werden.

[QUOTE]Mitgefühl, Gerechtigkeitsempfinden und Egoismus sind für mich das Fundament der Ethik schlechthin. Ohne solche gegebenen, natürlichen, emotionalen Eigenschaften, die bereits an und für sich richtiges Handeln in ihrem Sinne aufzeigen, scheint es mir nur möglich zu sein, eine Ethik völlig willkürlich und beliebig zu begründen.[/QUOTE]

Dann wäre der kategorische Imperativ, der sich ausdrücklich und planmäßig von all diesen Erfahrungen distanzieren und eine a priori Ethik begründen möchte ja völlig willkürlich und beliebig gewählt...so weit würde ich gar nicht gehen mit meiner Kritik.
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Benway




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Motto: fire walk with me

[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 22:17


[QUOTE]problematisch ist und bleibt für mich eben aus rein erkenntnistheoretischer Perspektive der Analogieschluss vom "Willen" auf jedeerdenkliche Form von Erscheinung[/QUOTE]

Jepp, damit hast du den Knackpunkt (oder zumindest den selben wie ich) erkannt...wenn ich mich nicht irre, schreibt Schopenhauer selbst an einer Stelle, dass hier der metaphysische Sprung gewagt werden musste. Ob man seinem Welterklärungsmodell zustimmen kann, ist erfahrungsgemäß dann auch eine Frage, die noch mehr als bei anderen Philosophien von der persönlichen Vorprägung und den gesammelten Erfahrungen entschieden wird...
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Xoc






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[*] Verfasst am: 24.3.2007 um 23:43


Zitat
Zitat
Original von Doc Benway
Na gut, Eigentor, ich meinte klasssiche philosophische Ethiken ;)


Gut, dass du das dazu gesagt hast ;)

Ansonsten ja, ich denke, ich weiss, was du damit meinst.

[QUOTE]Im Alltag gibt es für mich ethisches Handeln, aber keine Ethik (Wissenschaft von der Sittlichkeit). Was man machen kann, ist Handlungen einen ethischen Charakter zu- oder absprechen...Schopenhauer dürfte dabei der einzige Philosoph sein, der unreflektiertem Handeln wie es im Alltag mehrheitlich vorkommt sittlichen Charakter zuspricht.[/QUOTE]

Dann bin ich der Zweite? :D

Also, das ist wohl nur eine Definitionsfrage mit der Ethik im Altag. Sie kann Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung sein, ist es aber in ihrer Anwendung selbst keine Wissenschaft.

[QUOTE]In den Prämissen zum kategorischen Imperativ nennt Kant klar die immanente "Vernunft" des Gegenübers als Voraussetzung, dass ich ihn als moralisches Subjekt behandeln kann. Tiere fallen deshalb bekanntlich heraus, wie Kant selbst in seinen Hauptschriften bemerkt. An anderer Stelle (einer Vortragsmitschrift) spricht er allerdings auch Frauen, Negriden, Geisteskranken und noch so einigen mehr die Fähigkeit zum vernünftigen Handeln ab, deswegen glaube ich behaupten zu können, dass der kategorische Imperativ so wie von Kant beschrieben (und dazu gehören auch die Prämissen) auf mehr als die Hälfte der Menschheit und mehr als 99% allen Lebens auf diesem Planeten nicht angewendet werden darf. Als ethische Maxime versagt er für mich damit ganz klar.
[/QUOTE]

Der Kategorische Imperativ lautet z.B.: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Ich sehe nicht, wieso er als Prämisse braucht, dass das Gesetz nur verfünftige Wesen "beschützen" darf. Insofern, selbst wenn Kant sie aufgestellt hat (Ich weiss es nicht), sehe ich sie nur als historischen Fakt, nicht aber als logische Notwendigkeit.

[QUOTE]Wenn du meinst...Kant würde freilich erstmal fragen, ob die Menschen beim Sterben denn nun objektiviert werden oder nicht (und wenn er seinePrämissen konsequent durchdacht hätte, natürlich auch ob es sich dabei um männliche, weiße, heterosexuelle Individuen handelt).[/QUOTE]

Ich sehe nicht, dass das zwangläufig aus dem K.I. folgt. Kants persönliche Meinung kenne ich auch nicht.

[QUOTE]Die Begriffe "Erscheinung" und "Ding an Sich" bitte beide gemäß der Definition von Kant lesen (http://de.wikipedia.org/wiki/Ding_an_sich), dann sollte es klarer werden.[/QUOTE]

Nein, wird es nicht. Egal wie ich die Definition drehe, sie werden entweder nicht anwendbar auf Mitleid oder der Schluss auf die Metaphysische Begründung ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich finde einfach nichts metaphysisches am Mitleid, wo ist es?

[QUOTE][QUOTE]Mitgefühl, Gerechtigkeitsempfinden und Egoismus sind für mich das Fundament der Ethik schlechthin. Ohne solche gegebenen, natürlichen, emotionalen Eigenschaften, die bereits an und für sich richtiges Handeln in ihrem Sinne aufzeigen, scheint es mir nur möglich zu sein, eine Ethik völlig willkürlich und beliebig zu begründen.[/QUOTE]

Dann wäre der kategorische Imperativ, der sich ausdrücklich und planmäßig von all diesen Erfahrungen distanzieren und eine a priori Ethik begründen möchte ja völlig willkürlich und beliebig gewählt...so weit würde ich gar nicht gehen mit meiner Kritik.


Er entfernt sich nicht wirklich vom Egoismus. Er spricht ganz direkt mein Wollen an und das ist massgeblich durch Egoismus geprägt.
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Motto: fire walk with me

[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 00:54


[QUOTE]Ich sehe nicht, wieso er [der kat. Imp.] als Prämisse braucht, dass das Gesetz nur verfünftige Wesen "beschützen" darf. Insofern, selbstwenn Kant sie aufgestellt hat (Ich weiss es nicht), sehe ich sie nur als historischen Fakt, nicht aber als logische Notwendigkeit.[/QUOTE]

Gut, das kannst du so sehen, machen ja selbst die Philosophiekoryphäen unserer Tage so. Selbst diese Grundform des kat. Imperativs funktioniert mE aber nur, wenn man unausgesprochen ständig Kants Vorstellung von "Vernunft" mitdenkt...als rein logische Maxime müsste der kat. Imp. noch lange niemanden beschützen. Es reicht ein Blick in die Abschiedsbriefe diverser Massenmörder und Amokläufer, um sich darüber klarzuwerden, dass Menschen (und dazu zählen wir jetzt auch all die Geisteskranken, Gestörten, Behinderten, Schwarzen und Frauen dieser Welt) sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche Maxime des Handelns ein gutes allgemeines Gesetz abgeben würde. Der kat. Imp. braucht die Prämisse, dass er nur für "vernünftige" Lebewesen gilt, d.h. solche, die ein Interesse an einer lebensfähigen Gesellschaft haben, das hat Kant schon klar erkannt und deswegen mag der kat. Imp. als rein logische Maxime auch ohne diese Vorbedingung noch möglich sein, als ethische Richtschnur würde er so aber ganz schnell miserabel versagen. Als oberste ethische Maxime verwerfe ich ihn in beiden Fällen.

[QUOTE]Nein, wird es nicht. Ich finde einfach nichts metaphysisches am Mitleid, wo ist es?[/QUOTE]

Das "Ding an Sich" ist die postulierte Urform der Erscheinung vor der Erkenntnis. Die "Erscheinung" ist die Wahrnehmung des "Ding an Sich" in den Kategorien von Zeit, Raum und Kausalität. Damit sollten zunächst mal Missverständnisse wie
[QUOTE]Aber "Mitleid als Ding ansich", nunja, damit kann ich überhaupt nichts anfangen, schliesslich ist Mitleid kein Ding sondern "nur" einVerhältnis zwischen einem Leidenen und einem Mitleidenden.[/QUOTE]
beseitigt sein. Mitleid als empirisch fassbare Erscheinung kann man "logisch" (d.h. in der Kategorie der Kausalität) erklären, zB evolutionsbiologisch. Kant postuliert aber für jede begrifflich fassbare Erscheinung (also nicht nur "Dinge", die auch im Raum existieren) eine vor der Erfahrung liegende Grundlage, das "Ding an Sich" - und Schopenhauer stimmt ihm darin applaudierend zu.
Dass sich eine Erscheinung also physisch erklären lässt, wirkt sich nicht darauf aus, dass das Ding an Sich einer metaphysischen Begründung jenseits von Raum, Zeit und vor allem Kausalität bedarf. Diese metaphysische Begründung des Mitleids ist es, was Schopenhauer aufbauend auf seine Grundphilosophie zu leisten versucht. Dabei bedarf er einer Menge Anhaltspunkte aus der Erscheinungswelt (u.a. nutzt er die Geschichte, die Kunst, die Philosophie der Weltreligionen, psychologische Betrachtungen und Beispiele aus der Lebenserfahrung) und muss am Ende doch "den Sprung wagen" - d.h. darauf bauen, dass der Leser anhand der vielen angeführten Erscheinungsformen des einen Ding an Sich dessen Wesen intuitiv (da logisch nicht möglich) erkannt hat. Diese metaphsyische Begründung des Mitleids nimmt in der "Welt als Wille und Vorstellung" mehr als 100 Seiten ein und da Schopenhauer in seinem Hauptwerk nun wirklich alles andere als ein fröhlich vor sich hinplappernder Zeitgenosse ist, finde ich es unmöglich, sie hier auch nur teilweise anzuführen.
Auf jeden Fall würden sowohl Kant als auch Schopenhauer darin übereinstimmen, dass Mitleid als Erscheinung und als Ding an Sich existiert und das es um als Ding an Sich verstanden zu werden, einer metaphysischen Begründung bedarf. Ob Kant Schopenhauers Sprung nun als zulässig betrachten würde (selbst hat er nie versucht, ein Ding an sich zu begründen), das ist eine andere Frage.

[QUOTE]Er [der kat. Imp.] entfernt sich nicht wirklich vom Egoismus. Er spricht ganz direkt mein Wollen an und das ist massgeblich durch Egoismusgeprägt.[/QUOTE]

Ist mir so noch nicht aufgefallen, hast auf gewisse Weise aber durchaus Recht. Für mich dann ein weiterer Beweis, dass der greise Kant mit dem kat. Imperativ an seiner eigenen Zielsetzung scheitert bzw. völlig vorbeigeht.
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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 02:38


Zitat
Original von Doc Benway
Selbst diese Grundform des kat. Imperativs funktioniert mE aber nur, wenn man unausgesprochen ständig Kants Vorstellung von "Vernunft" mitdenkt...als rein logische Maxime müsste der kat. Imp. noch lange niemanden beschützen. Es reicht ein Blick in die Abschiedsbriefe diverser Massenmörder und Amokläufer, um sich darüber klarzuwerden, dass Menschen (und dazu zählen wir jetzt auch all die Geisteskranken, Gestörten, Behinderten, Schwarzen und Frauen dieser Welt) sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche Maxime des Handelns ein gutes allgemeines Gesetz abgeben würde.


Ich sehe da jetzt kein Problem, das gegen den K.I. spricht. Wenn der Amokläufer nach so einer Maxime handelt, dann handelt er in diesem Sinne ethisch. Wieso sollte Amoklauf auch nicht ethisch sein können oder für unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge ethisch sein, selbst nach der gleichen Ethik?
Ich sehe den Knackpunkt eher, dass das Gesetz tatsächlich allgemein sein muss und nicht "allgemeine Gesetze" der Form "Alle die Helmut Kohl heissen und am 3. April 1930 geboren sind regieren Deutschland auf Lebenszeit."

[QUOTE]Der kat. Imp. braucht die Prämisse, dass er nur für "vernünftige" Lebewesen gilt, d.h. solche, die ein Interesse an einer lebensfähigen Gesellschaft haben, das hat Kant schon klar erkannt und deswegen mag der kat. Imp. als rein logische Maxime auch ohne diese Vorbedingung noch möglich sein, als ethische Richtschnur würde er so aber ganz schnell miserabel versagen. Als oberste ethische Maxime verwerfe ich ihn in beiden Fällen.[/QUOTE]

Ich glaube hier müssen wir ganz klar zwischen dem Unterscheiden, der nach dem K.I handelt und zwischen dem, der behandelt wird. Der Handelnde braucht tatsächlich Vernunft oder zumindest Abstraktionsfähigkeit. Ich sehe aber nicht, wieso der Behandelte irgendwelche Vernunft braucht. Ich kann ohne Probleme allgemeine Gesetze wollen, die so allgemein sind, dass sie auch für Amöben gelten.
Und sogar Frauen. :D

[QUOTE]Das "Ding an Sich" ist die postulierte Urform der Erscheinung vor der Erkenntnis. Die "Erscheinung" ist die Wahrnehmung des "Ding anSich" in den Kategorien von Zeit, Raum und Kausalität. Damit sollten zunächst mal Missverständnisse wie beseitigt sein.[/QUOTE]

Wenn du damit sagen willst, dass der Baum auch dann ein Geräusch beim Umfallen macht, wenn niemand hinhört, dann stimme ich dir natürlich zu.

[QUOTE]Mitleid als empirisch fassbare Erscheinung kann man "logisch" (d.h. in der Kategorie der Kausalität) erklären, zB evolutionsbiologisch. Kant postuliert aber für jede begrifflich fassbare Erscheinung (also nicht nur "Dinge", die auch im Raum existieren) eine vor der Erfahrung liegende Grundlage, das "Ding an Sich" - und Schopenhauer stimmt ihm darin applaudierend zu.[/QUOTE]

Ja, ok, jemand kann auch dann Mitleid haben oder Mitleidensfähig sein, wenn es niemand mitbekommt, da stimme ich auch zu. Oder behauptest du noch etwas anderes damit, was mir entgangen ist?

[QUOTE]Dass sich eine Erscheinung also physisch erklären lässt, wirkt sich nicht darauf aus, dass das Ding an Sich einer metaphysischen Begründung jenseits von Raum, Zeit und vor allem Kausalität bedarf. Diese metaphysische Begründung des Mitleids ist es, was Schopenhauer aufbauend auf seine Grundphilosophie zu leisten versucht.
[/QUOTE]

Tja. Und da steige ich aus. Ich sehe nicht, was man an Mitleid metaphysisch begründen müsste oder könnte. Für mich ist Mitleid etwas vollständig natürliches und natürlich vollständig erklärbares, wozu die Metaphysik?
"dass das Ding an Sich einer metaphysischen Begründung jenseits von Raum, Zeit und vor allem Kausalität bedarf"
ist mich für so einer der Sätze, bei denen ich meine Zweifel habe, ob sie tatsächlich noch irgendeine Aussage treffen, das müsstest du mir näher erklären.


[QUOTE]Diese metaphsyische Begründung des Mitleids nimmt in der "Welt als Wille und Vorstellung" mehr als 100 Seiten ein und da Schopenhauer in seinem Hauptwerk nun wirklich alles andere als ein fröhlich vor sich hinplappernder Zeitgenosse ist, finde ich es unmöglich, sie hier auch nur teilweise anzuführen.[/QUOTE]

Bei mir scheitert es daran zu sehen, wieso man überhaupt 100 Seiten darüber schreiben muss. Man kann sicher viel Interessantes und Begründendes über Mitleid schreiben, aber wozu Metaphysik? Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe, bzw anzweifel.
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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 04:13


[QUOTE]Ich sehe da jetzt kein Problem, das gegen den K.I. spricht. Wenn der Amokläufer nach so einer Maxime handelt, dann handelt er in diesem Sinne ethisch. Wieso sollte Amoklauf auch nicht ethisch sein können oder für unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge ethisch sein, selbst nach der gleichen Ethik?[/QUOTE]

Dann heißt der kat. Imp. lediglich noch, dass jeder tun soll, was er will und aufpassen muss, seinem Willen nicht entgegenzuhandeln. Philosophiegeschichtlich haben wir damit mal eben 200 Jahre übersprungen und sind bei Aleister Crowley gelandet. Wie gesagt: meinetwegen ist der kat. Imp. so als logisch schlüssige Aufforderung noch haltbar, moralisches Potential hat er aber nicht mehr (mal ganz davon zu schweigen, dass Kant aufgrund dieser Deutung seiner Maxime in diesem Moment im Grabe rotiert).


[QUOTE]Ich glaube hier müssen wir ganz klar zwischen dem Unterscheiden, der nach dem K.I handelt und zwischen dem, der behandelt wird. Der Handelndebraucht tatsächlich Vernunft oder zumindest Abstraktionsfähigkeit.[/QUOTE]

Also "vernünftige" Leute als moralisches Subjekt, "unvernünftige" Menschen und alle Tiere lediglich als moralisches Objekt. Genau so wird Kant ja auch von der herrschenden Lehrmeinung interpretiert...und genau das schmeckt mir nicht an den deutschen Philosophiepäpsten im Jahre 209 nach Schopenhauer. Für dich ist ein Amokläufer potentiell noch "vernünftig", für den allergrößten Rest der Menschheit nicht mehr, für Kant waren Frauen nicht vernünftig, für mich sind es Bausparer nicht, aber dafür die meisten Tiere.
Ich bleibe dabei: der kat. Imp. funktioniert als wirklich moralische Maxime nur, wenn man wie Kant noch naiv von einer "Vernunft" als allgemein menschlicher Eigenschaft ausgeht...der semantische Gehalt dieses Wortes für Kant und seine Zeitgenossen ist schwer zu bestimmen, man kann aber auf jeden Fall davon ausgehen, dass Leute wie sie sich hier tummeln, die nichts dabei finden zu äußern, dass die Menschheit vielleicht besser ausgelöscht werden sollte, nicht Kants Vorstellung von vernünftig entsprechen würden. Wenn du Vernunft jetzt aber lediglich als Abstraktionsfähigkeit setzt, dann sind wir wieder bei Crowley mit minimalen Einschränkungen, dann ist der kat. Imp. lediglich die Aufforderung, sich darüber klar zu werden, was man in dieser Welt will und fortan entsprechend zu handeln, was ich jetzt nicht soo schlecht finde, man kann es sich aber auch gleich sparen und draufloswollen, unterm Leidensstrich dürfte das keinen ernsthaften Unterschied machen.

[QUOTE]Wenn du damit sagen willst, dass der Baum auch dann ein Geräusch beim Umfallen macht, wenn niemand hinhört, dann stimme ich dir natürlichzu.[/QUOTE]

Nein, der Baum macht kein Geräusch, wenn niemand hinhört. Das, was wir Geräusch nennen ist lediglich die Erscheinung wie wir sie über unsere Sinne (Gesichtssinn, Gehör, Geruch etc.) und unsere Verstandeskategorien (die Ordnungsvorgänge, die im Gehirn vor sich gehen und von allen Menschen überall angewendet werden, ohne das sie sich abschalten ließen: Zeit, Raum, Kausalität) wahrnehmen...wenn niemand da ist, der ein Geräusch konstruiert, so gibt es kein Geräusch. Über den Baum oder das Geräusch als Ding an Sich können wir keine Aussage machen.
Eben mit der von dir vertretenen These hat Kant in der westlichen Philosophiegeschichte endgültig aufgeräumt (kopernikanische Wende anyone?)...dafür dass du seine Ethik so vehement vertrittst, bist du mit seinen sonstigen Thesen bemerkenswert wenig einverstanden.

Wenn du dich mal mit der Zweiteilung Erscheinung-Ding an Sich beschäftigst, wie sie Kant in die Philosophie einführt hat und wie sie quasi alle nachfolgenden Philosophen übernommen haben, könnten wir hier einige Miß- und Unverständnisse vermeiden (Die erste Erwähnung der Dichotomie Erscheinung-Ding An Sich findet sich in der Schirft "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können", 1783 erschienen. Auf dieses Jahr wird traditionell auch die kopernikanische Wende in der Philosophiegeschichte datiert).

Noch einmal kurz und knackig: die "Erscheinung" ist das, was unter irgendeinem Begriff normalerweise verstanden wird...die Erscheinug eines Apfels nimmt man über die Netzhaut wahr und darüber, dass unsere Verstandeskategorien Raum, Zeit und Kausalität die über die Netzhaut eingehende Information so verarbeiten, dass wir schließlich einen Apfel im dreidimensionalen Raum und in der Zeit sehen.
Der Apfel als "Ding an Sich" ist eine postulierte, d.h. völlig unbewiesene Angelegenheit. Niemand wird ihn jemals sehen (dann wäre es eine Erscheinung) oder eine positive Aussage darüber treffen können. Den Apfel als Ding an Sich könnte man als die "Apfelhaftigkeit" beschreiben.

So verhält es sich laut Kant auch mit allen anderen Begriffen, die Menschen bilden, also auch dem "Mitleid". Was wir uns unter Mitleid vorstellen, ist ein Begriff, den wir irgendwann (normalerweise so im Kindergartenalter oder davor)mithilfe unserer Verstandeskategorien aus den Informationen gebildet haben, die unsere Sinnesorgane uns vermittelt haben. Er ist die "Erscheinung" Mitleid und existiert nur durch die Erfahrung ("a posteriori").
Mitleid als vor der Erfahrung liegendes Ding an Sich ist eine völlig unbewiesene und unbestimmte Angelegenhiet, wie bei jedem anderen Begriff auch.
Mitleid als Erscheinung kann man physisch begründen (zB evolutionsbiologisch, aber dazu braucht man die Verstandeskategorie der Kausalität - oder anders ausgedrückt: ohne Gehirne könnten wir keine Evolutionsbiologie betreiben), Mitleid als Ding an Sich muss metaphysisch begründet werden, also ohne dass dabei Informationen, die uns unsere Sinnesorgane oder Verstandeskategorien a posteriori vermitteln, hinzugezogen werden. Das schließt das was man unter einer "logischen" Beweisführung versteht aus, denn dazu werden Sinnesorgane und die Verstandeskategorien von Raum, Zeit und Kausalität (Kausalität kann man für den praktischen Gebrauch mit Logik sogar fast synonym setzen) benötigt.

[QUOTE]"dass das Ding an Sich einer metaphysischen Begründung jenseits von Raum, Zeit und vor allem Kausalität bedarf"[/QUOTE]

Ja, es klingt verworren, aber die Philosophie macht auch nach Kant durchaus noch Sinn, sogar weitaus mehr als zuvor. Die zwei letzten von dir zitierten Absätze sollten jetzt jedenfalls verständlich sein.

[QUOTE]Bei mir scheitert es daran zu sehen, wieso man überhaupt 100 Seiten darüber schreiben muss. Man kann sicher viel Interessantes undBegründendes über Mitleid schreiben, aber wozu Metaphysik? Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe, bzw anzweifel. [/QUOTE]

Leute, die viel lesen und wenig Freunde haben interessieren sich da halt möglicherweise dafür, insofern hatte Schopenhauer durchaus sein Zielpublikum (er hat sich nur schlecht vermarktet, aber das ist Anderen ja auch schon passiert *Dian zuwink*)...klar, er hätte es auch gleich lassen können und sich damit begnügen, zu konstatieren, dass Mitleid als Erscheinung im Leben vorkommt und das er das für eine gute Sache hält, die Kernaussage seiner Ethik hätten wir dann trotzdem, nur fehlt leider jede physische und metaphysische Begründung.
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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 06:41


Kleiner Zwischeneinwurf:
Letzteres ist im übrigen heute durchaus üblich, dass auch die heute tätigen Neurophilosophen versuchen evtl. gar noch über C.G.Jung das eben einfach auszublenden und die neurophysiologischen Ansätze dieses Handeln als Menschenbedingt anzusehen.

Ihr dürft den Wissenstand über menschlichem Leben nicht vernachlässigen, wenn Ihr die Theorien von Kant reflektiert. Ich hab zwar meine praktische und theoretische Vernunft irgendwo im Keller stehen(Schöner Satz im übrigen, wie ich gerade beim zweiten Durchlesen feststelle), aber dennoch kann ich mich jetzt so aus dem Kopf heraus nicht erinnern, dass Kant in der Lage gewesen wäre, auch naturwissenschaftliche Sachen zu berücksichtigen (Wie denn auch, war ja erst die Aufklärung, was da begann!)
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Benway




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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 12:41


[QUOTE]Letzteres ist im übrigen heute durchaus üblich, dass auch die heute tätigen Neurophilosophen versuchen evtl. gar noch über C.G.Jung daseben einfach auszublenden und die neurophysiologischen Ansätze dieses Handeln als Menschenbedingt anzusehen.[/QUOTE]

Sorry, aber das musst du für mich nun noch einmal deutlicher formulieren,,,ich krieg leider nicht raus, worum es dir geht.
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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 16:39


Zitat
Original von Doc Benway
Dann heißt der kat. Imp. lediglich noch, dass jeder tun soll, was er will und aufpassen muss, seinem Willen nicht entgegenzuhandeln.


Dann hast du den K.I nicht verstanden.
Der K.I verhindert, dass man sich und andere mit zweierlei Mass messen kann. Die Grundsätze (Maxime) meines Handelns muss ich als allgemeines Gesetz wollen können.

[QUOTE]Also "vernünftige" Leute als moralisches Subjekt, "unvernünftige" Menschen und alle Tiere lediglich als moralisches Objekt. Genau so wird Kant ja auch von der herrschenden Lehrmeinung interpretiert...und genau das schmeckt mir nicht an den deutschen Philosophiepäpsten im Jahre 209 nach Schopenhauer. Für dich ist ein Amokläufer potentiell noch "vernünftig", für den allergrößten Rest der Menschheit nicht mehr, für Kant waren Frauen nicht vernünftig, für mich sind es Bausparer nicht, aber dafür die meisten Tiere.[/QUOTE]

Ja und? Ist doch ok. Dann können alle, die tatsächlich vernünftig sind - was auch immer das heissen mag - eben nach dem K.I. handeln und die anderen nicht. Nach Schopenhauers Ethik leben kann ich auch nur, wenn ich es entweder zufällig sowieso schon tue oder wenn ich intellektuell in der Lage bin, sie zu verstehen, das macht keinen grossen Unterschied zu den Voraussetzung um nach dem K.I. zu leben. Schopenhauer verlangt auch mindestens implizit, dass ich nicht halluziniere und meine Gefühlswelt halbwegs normal ist, so dass ich mitleidsfähig bin.

[QUOTE]Wenn du Vernunft jetzt aber lediglich als Abstraktionsfähigkeit setzt, dann sind wir wieder bei Crowley mit minimalen Einschränkungen, dann ist der kat. Imp. lediglich die Aufforderung, sich darüber klar zu werden, was man in dieser Welt will und fortan entsprechend zu handeln, was ich jetzt nicht soo schlecht finde, man kann es sich aber auch gleich sparen und draufloswollen, unterm Leidensstrich dürfte das keinen ernsthaften Unterschied machen.[/QUOTE]

Genau da stimme ich dir nicht zu.
Auch wenn das keine korrekte Interpretation vom K.I. ist, will ich den Vergleich doch mal bringen:
Ob man jemandem sagt: "Tu was du willst."
Oder ob man ihm sagt: "Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu."
macht sehr wohl einen grossen Unterschied. Du tust so, als würde der K.I. erstes besagen, dabei besagt er zweites (wie gesagt, nicht tatsächlich, aber der Unterschied zwischen beidem ist in etwa der gleiche).

[QUOTE]Über den Baum oder das Geräusch als Ding an Sich können wir keine Aussage machen.[/QUOTE]

Ich behaupte, dass es zwischen unserer Wahrnehmung und dem, was da draussen in der Welt ist und die Wahrnehmung auslöst ein sehr enger Zusammenhang besteht, der Schlüsse erlaubt.

[QUOTE]dafür dass du seine Ethik so vehement vertrittst, bist du mit seinen sonstigen Thesen bemerkenswert wenig einverstanden.[/QUOTE]

Das liegt daran, dass ich seine Ethik gar nicht vehement vertrete, sondern nur sehe, dass deine Kritik unangebracht ist und das korrigiere.


[QUOTE]Wenn du dich mal mit der Zweiteilung Erscheinung-Ding an Sich beschäftigst, wie sie Kant in die Philosophie einführt hat und wie sie quasi alle nachfolgenden Philosophen übernommen haben, könnten wir hier einige Miß- und Unverständnisse vermeiden (Die erste Erwähnung der Dichotomie Erscheinung-Ding An Sich findet sich in der Schirft "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können", 1783 erschienen. Auf dieses Jahr wird traditionell auch die kopernikanische Wende in der Philosophiegeschichte datiert).[/QUOTE]

Ich unterscheide durchaus zwischen

(I.) dem Apfel , der tatsächlich am Baum hängt und
(II.) der Vorstellung vom Apfel, die ich durch meine Sinnesorgane gewonnen habe und nun in meinem Kopf durch neuronale Aktiviät repräsentiert wird. Des weiteren Unterschiede ich dieses beides noch von
(III.) der abstrakten, sprachlich, gedanklichen Kategorie "Apfel", eben das, was alle Äpfel gemeinsam habe und uns dazu bringt sie alle Apfel zu nennen.

Zwischen diesen 3 unterschiedlichen Dinge besteht aber trotzdem einen ganz engen Zusammenhang der Schlüsse zulässt.

Ich hoffe du verstehst, was ich meine, ich benutze nämlich eine modere Sprache als die Kants und Schopenhauers und ich fühle mich auch in dieser alten Sprache nicht ganz wohl und sicher.
Wenn du aber all das nicht meinst, dann gibt es den Unterschied, von dem du sprichst in meiner Vorstellungswelt nicht und ich bezweifel auch, dass es ihn tatsächlich gibt.

[QUOTE]Noch einmal kurz und knackig: die "Erscheinung" ist das, was unter irgendeinem Begriff normalerweise verstanden wird...die Erscheinug eines Apfels nimmt man über die Netzhaut wahr und darüber, dass unsere Verstandeskategorien Raum, Zeit und Kausalität die über die Netzhaut eingehende Information so verarbeiten, dass wir schließlich einen Apfel im dreidimensionalen Raum und in der Zeit sehen.
Der Apfel als "Ding an Sich" ist eine postulierte, d.h. völlig unbewiesene Angelegenheit. Niemand wird ihn jemals sehen (dann wäre es eine Erscheinung) oder eine positive Aussage darüber treffen können. Den Apfel als Ding an Sich könnte man als die "Apfelhaftigkeit" beschreiben.[/QUOTE]

Ist die Erscheinung des Apfels II und der Apfel als Ding ansich I?

[QUOTE]So verhält es sich laut Kant auch mit allen anderen Begriffen, die Menschen bilden, also auch dem "Mitleid". Was wir uns unter Mitleid vorstellen, ist ein Begriff, den wir irgendwann (normalerweise so im Kindergartenalter oder davor)mithilfe unserer Verstandeskategorien aus den Informationen gebildet haben, die unsere Sinnesorgane uns vermittelt haben. Er ist die "Erscheinung" Mitleid und existiert nur durch die Erfahrung ("a posteriori").
Mitleid als vor der Erfahrung liegendes Ding an Sich ist eine völlig unbewiesene und unbestimmte Angelegenhiet, wie bei jedem anderen Begriff auch.[/QUOTE]

Tja und hier klingt es mehr so, als meinst du im ersten Abschnitt Mitleid im Sinnne von III, als Begriff, als Kategorie des Denkens und Sprechens?

[QUOTE]Mitleid als Ding an Sich muss metaphysisch begründet werden, also ohne dass dabei Informationen, die uns unsere Sinnesorgane oder Verstandeskategorien a posteriori vermitteln, hinzugezogen werden. Das schließt das was man unter einer "logischen" Beweisführung versteht aus, denn dazu werden Sinnesorgane und die Verstandeskategorien von Raum, Zeit und Kausalität (Kausalität kann man für den praktischen Gebrauch mit Logik sogar fast synonym setzen) benötigt.[/QUOTE]

Hier wird das, was du schreibst für mich unsinnig.
Wenn du tatsächlich auch Logik im formalen Sinne meinst, dann sagst du aus meiner Sicht: Darüber kann man gar nicht denken und sprechen, was ein wenig im Widerspruch dazu steht, dass du es gerade tust und behautest, dass Schopenhauer es 100 Seiten lang tat.


[QUOTE]Die zwei letzten von dir zitierten Absätze sollten jetzt jedenfalls verständlich sein.[/QUOTE]

Nein, leider nicht.
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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 17:09


Haha, du hast Kant gesagt. :D
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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 22:59


[QUOTE]Dann hast du den K.I nicht verstanden.[/QUOTE]

Na dann schauen wir uns eben nochmal an, was wir aus dem kat. Imp. inzwischen gemacht haben:

[QUOTE]Ob man jemandem sagt: "Tu was du willst." Oder ob man ihm sagt: "Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu."macht sehr wohl einen grossen Unterschied.[/QUOTE]

Ich sagte doch "Crowley" (und dann sogar noch "mit minimalen Einschränkungen", weiter in Richtung einer teilweisen Anerkennung einer Respektsethik wirst du mich nie gehen sehen...)...das "Tu was du willst" der Thelemiten heißt: werde dir darüber klar was du willst und in welcher Gesellschaft du leben möchtest. Crowley hat es die praktizierbare Form des kat. Imp. genannt. Ich stimme ihm darin zwar nicht zu, bin aber weiterhin der Meinung, dass dieses "Werde dir darüber klar, was du willst" effektiv alles ist was vom kat. Imp., übrigbleibt, wenn man alle Menschen, die selbständig allgemeine Gesetzmäßigkeiten formulieren können, als moralisches Subjekt anerkennt...Crowley weist (ja, etwas unzulässsig vereinfacht) darauf hin, dass 99% der Menschen sich bei der Anwendung des kat. Imp. wohl eben eine Gesellschaft aussuchen würden, in der nicht jede Handlung mit dem kat. Imp. durchdacht werden muss.


[QUOTE]Nach Schopenhauers Ethik leben kann ich auch nur, wenn ich es entweder zufällig sowieso schon tue oder wenn ich intellektuell in der Lage bin,sie zu verstehen, das macht keinen grossen Unterschied[/QUOTE]

Ganz richtig erkannt, aber das dürfte auch nicht so schwer gewesen sein, da Schopenhauer diese Prämisse quasi jeder Ausführung über die Ethik voranstellt. Anders als Kant gibt Schopenhauer also überhaupt keine ethischen Maximen aus (das einzige, was in die Richtung geht ist "Schade niemandem; sondern hilf allen, so gut du kannst", aber selbst bei diesem minimalistischen Tipp gibt Schopenhauer noch zu bedenken, dass er nicht immer zu weniger Leiden führen muss und deshalb mit Vorsicht angewandt werden sollte). Alles was er sagt ist, wann ein Verhalten nach seiner Definition ethisch genannt werden kann und wann nicht (wobei es sein kann, dass die Lektüre von Schopenhauers Werk verstärkt zu ethischem Handeln nach seiner Definition anregt).


[QUOTE]Ich behaupte, dass es zwischen unserer Wahrnehmung und dem, was da draussen in der Welt ist und die Wahrnehmung auslöst ein sehr engerZusammenhang besteht, der Schlüsse erlaubt.[/QUOTE]

Ein Zusammenhang benötigt bereits die Kategorie der Kausalität und kann deswegen nicht den Abgrund zwischen Erscheinung und Ding an Sich ausfüllen, das hat schon Kant gegenüber Moses Mendelsohn (der die "Realität" auf etwa die selbe Art wie du "retten" wollte) ausdrücklich klargemacht...und Schopenhauer hat später nochmal weitaus polemischer nachgelegt. "Logische" Gesetzmäßigkeiten sind nur auf die Erscheinung anwendbar.
Was du machen könntest, ist das Ding an Sich überhaupt zu verneinen (es handelt sich schließlich nur um ein unbewiesenes Postulat von Kant)...und dann macht ein Baum beim Umfallen eventuell tatsächlich auch ein Geräusch, selbst wenn niemand hinhört. Wenn du Kants philosophische Begrifflichkeiten aber akzeptierst, dann musst du dich den von ihm ausgegebenen Definitionen beugen.


[QUOTE]Das liegt daran, dass ich seine Ethik gar nicht vehement vertrete, sondern nur sehe, dass deine Kritik unangebracht ist und daskorrigiere.[/QUOTE]

Ach so, na dann :D

[QUOTE]Ich unterscheide durchaus zwischen (I.)(II.)(III.)[/QUOTE]

Und auf Kategorie (I.) und (III.) musst du notwendigerweise allein aus der Information schließen, die in (II.) schon enthalten ist...deswegen argumentiert Kant mit seiner Erkenntistheorie grob gesagt auch, dass man (I.) und (III.) auch gleich weglassen könnte, und zugeben, dass man darüber eigentlich nichts weiß. (Und Schopenhauer weist dann noch darauf hin, dass es überhaupt keine Kategorien gleich welchen Inhalts geben könnte, wenn es Kategorie (II.) nicht gäbe).

[QUOTE]Ich hoffe du verstehst, was ich meine, ich benutze nämlich eine modere Sprache als die Kants und Schopenhauers und ich fühle mich auch indieser alten Sprache nicht ganz wohl und sicher.[/QUOTE]

Die alte Sprache Kants hat den Vorteil, dass sie die unüberbrückbare Zweiteilung Erscheinung-Ding an Sich klar auf den Punkt bringt und Irrtümer wie die obigen drei Kategorien vermeidet. Aber anscheinend ist sie tatsächlich zu alt, um vom Großteil der modernen Naturwissenschaften noch zur Kenntnis genommen zu werden. Wenn Neurophysiologen oder Evolutionsbiologen mal wieder stolz verkünden, endlich den ultimativen "Grund" für ein gewisses Verhaltenspotential (meinetwegen auch Mitleid) gefunden zu haben, dreht sich mir der Magen um (Schopenhauer dagegen würde nach Lesen einer Ausgabe "Bild der Wissenschaft" wohl sein polemisches Meisterstück schaffen...so viel Quatsch wie die Neo-Positivsten hat Hegel nicht mal zu seinen schlechtesten Zeiten formuliert).

[QUOTE]Ist die Erscheinung des Apfels II und der Apfel als Ding ansich I?[/QUOTE]

Nein, aber das passt denn ich lese gerade

[QUOTE]Wenn du aber all das nicht meinst, dann gibt es den Unterschied, von dem du sprichst in meiner Vorstellungswelt nicht und ich bezweifel auch,dass es ihn tatsächlich gibt.[/QUOTE]

Das ist dann endlich eine klare Ansage und ich weiß jetzt, dass du das kantische Ding an Sich als Theorie nicht akzeptierst (das überrascht mich nicht mehr wirklich, irritiert mich aber noch insofern, dass du dich ganz zu Anfang des Threads von Nietzsche so begeistert gegeben hast).
Jetzt werde ich allerdings auch mal Klartext schreiben: ich hab keine Lust, mir die Mühe zu machen, dir Kants Epistemologie und die Gründe dafür nahezubringen, nur damit du am Ende evtl. nachvollziehen kannst, warum der Begriff Mitleid als Ding an Sich einer metaphysischen Begründung bedarf, von der du sowieso (quasi a priori...) meinst, dass sie für dich keine Bedeutung hätte, weil dir eine physische vollauf genügt.

[QUOTE]Hier wird das, was du schreibst für mich unsinnig. Wenn du tatsächlich auch Logik im formalen Sinne meinst, dann sagst du aus meiner Sicht: Darüber kann man gar nicht denken und sprechen, was ein wenig im Widerspruch dazu steht, dass du es gerade tust und behautest, dass Schopenhauer es 100 Seiten lang tat.[/QUOTE]

Wenn du es verstehen willst, dann tu dir den Gefallen und lies dir zumindest ein paar der 100 Seiten durch. Ich kann nur noch mal zitieren, was ich zu Schopenhauers der Art der Beweisführung, die Schopenhauer versucht, schon gesagt habe:

[QUOTE]Dabei bedarf er einer Menge Anhaltspunkte aus der Erscheinungswelt (u.a. nutzt er die Geschichte, die Kunst, die Philosophie der Weltreligionen, psychologische Betrachtungen und Beispiele aus der Lebenserfahrung) und muss am Ende doch "den Sprung wagen" - d.h. darauf bauen, dass der Leser anhand der vielen angeführten Erscheinungsformen des einen Ding an Sich dessen Wesen intuitiv (da logisch nicht möglich) erkannt hat.[/QUOTE]

Schopenhauer untersucht generell Erscheinungen und glaubt, dass er dem Leser durch Aufzählen von Gemeinsamkeiten dieser Erscheinungen ein Gefühl für das Ding an Sich dahinter geben kann (das wirst du jetzt eine ganz normale logische Kategorierung nennen und ohne konkrete Beispiele aus Schopenhauers Feder könnte ich dir nicht mal widersprechen).
Das ist genau der Grund, aus dem seine Philosophie (im Grunde zurecht) meistens dem reaktionären, gnostischen (im Gegensatz zum durch Kant repräsentierten aufklärerischen) Spektrum zugerechnet wird. So weit wie Nietzsche geht er mit seiner Methodik allerdings IMO nicht.
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Benway




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[*] Verfasst am: 25.3.2007 um 23:03


[QUOTE]Haha, du hast Kant gesagt. [/QUOTE]

Schopenhauer-Zitat aus dem Gedächtnis: "Das gemeine Volk aber findet zu den gelehrten Blasen der Philophaster ganz intuitiv die richtige Einstellung" :D
Ich werd mir da für heute Abend noch eine ziemlich wichtige Entscheidung ansteht auf jeden Fall gleich noch mit ein paar Schoppen die Kante geben...mal sehen, ob sich mit der Erscheinung auch die Erkenntnis darüber verdoppelt ;)
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[*] Verfasst am: 26.3.2007 um 01:59


Nur noch mal kurz zur Neurophilosophie, da Du gefragt hattest, @Doc Benway.

Die Diskussion, die ihr hier führt, ist ja nicht neu.
Und das sind einfach die letzten Diskussionsansätze, die hinzu gekommen sind, dass man eben versucht, diese Fragen nach den rein naturwissenschaftlichen Möglichkeiten des menschlichen Gehirns zu beantworten.

Kann man von halten, was man will, es schränkt imo die freie Willensentscheidung zu stark ein, wenn man alles mit irgendwelchen Kaliumionen im Gehirn erklären will und deren Reaktion.

Nur auch in der Pädagogik hat sich das durchgesetzt, dass man davon ausgeht. dass der kategorische Imperativ eine normale Entwicklungsstufe ist, auf die ein Kind so ungefähr bei der Pubertät von selber drauf kommt als zwangsläufige Entwicklung.
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[*] Verfasst am: 26.3.2007 um 02:03


Zitat
Original von Doc Benway
Ich sagte doch "Crowley" (und dann sogar noch "mit minimalen Einschränkungen", weiter in Richtung einer teilweisen Anerkennung einer Respektsethik wirst du mich nie gehen sehen...)...das "Tu was du willst" der Thelemiten heißt: werde dir darüber klar was du willst und in welcher Gesellschaft du leben möchtest.


Ich halte das für eine zu krasse Reduzierung. Und ich sehe auch nicht, dass der K.I selbst etwas mit Respekt zu tun hat.

Um noch etwas positives zum K.I zu sagen:
Ist dir aufgefallen, dass Gerechtigkeitsempfinden quasi ein von der Natur impelementierter Kategorische Imparativ ist?

[QUOTE]
[QUOTE]Nach Schopenhauers Ethik leben kann ich auch nur, wenn ich es entweder zufällig sowieso schon tue oder wenn ich intellektuell in der Lage bin, sie zu verstehen, das macht keinen grossen Unterschied[/QUOTE]
Ganz richtig erkannt, aber das dürfte auch nicht so schwer gewesen sein, da Schopenhauer diese Prämisse quasi jeder Ausführung über die Ethik voranstellt. [/QUOTE]

Was aber nicht Quelle meiner Aussage war, weswegen du dir die Entwertung des Erkennisgewinns auch hättest sparen können :D

[QUOTE]Ein Zusammenhang benötigt bereits die Kategorie der Kausalität und kann deswegen nicht den Abgrund zwischen Erscheinung und Ding an Sich ausfüllen, das hat schon Kant gegenüber Moses Mendelsohn (der die "Realität" auf etwa die selbe Art wie du "retten" wollte) ausdrücklich klargemacht...und Schopenhauer hat später nochmal weitaus polemischer nachgelegt. "Logische" Gesetzmäßigkeiten sind nur auf die Erscheinung anwendbar.
Was du machen könntest, ist das Ding an Sich überhaupt zu verneinen (es handelt sich schließlich nur um ein unbewiesenes Postulat von Kant)...und dann macht ein Baum beim Umfallen eventuell tatsächlich auch ein Geräusch, selbst wenn niemand hinhört. Wenn du Kants philosophische Begrifflichkeiten aber akzeptierst, dann musst du dich den von ihm ausgegebenen Definitionen beugen.[/QUOTE]

Leider sind meine üblichen Denk- und Sprachkategorien nicht geeignet die von dir angesprochenen Probleme zu denken oder zu formulieren, weswegen ich davon ausgehe, dass sie Scheinprobleme "deiner" Denk- und Sprachkategorien sind.

[QUOTE]Und auf Kategorie (I.) und (III.) musst du notwendigerweise allein aus der Information schließen, die in (II.) schon enthalten ist...deswegen argumentiert Kant mit seiner Erkenntistheorie grob gesagt auch, dass man (I.) und (III.) auch gleich weglassen könnte, und zugeben, dass man darüber eigentlich nichts weiß. (Und Schopenhauer weist dann noch darauf hin, dass es überhaupt keine Kategorien gleich welchen Inhalts geben könnte, wenn es Kategorie (II.) nicht gäbe). [/QUOTE]

Ja, ich schliesse von (II.) auf (I.), aber (III) ist recht beliebig, bzw Konvention, muss also nicht geschlossen werden.
Da ich (I) als eine Abstraktion von (II) betrachte, kann ich es auch nicht einfach so weglassen, es ist naturgemäss da, sobald (II) da ist.
Oder etwas verständlicher: Die Wahrnehmung folgt offensichtlich Regel und Gesetzmässigkeit im weiteren Sinne und eben diese *sind* die Welt da draussen.

[QUOTE]Die alte Sprache Kants hat den Vorteil, dass sie die unüberbrückbare Zweiteilung Erscheinung-Ding an Sich klar auf den Punkt bringt und Irrtümer wie die obigen drei Kategorien vermeidet. Aber anscheinend ist sie tatsächlich zu alt, um vom Großteil der modernen Naturwissenschaften noch zur Kenntnis genommen zu werden.[/QUOTE]

Du scheinst die moderneren Theorien als eine Degeneration der alten Philosophen zu betrachten?
Ich denke viel mehr, dass sie historische Grundlagen besser formulierter und besserer Theorien sind.
In diesem Punkt muss ich auch Arne zustimmen, die Philosophen damals wussten einfach vieles noch nicht, was heute bekannt ist und hatten auch viele Denkwerkzeuge noch nicht oder noch nicht so ausgereift und konnten deswegen auch nicht immer die richtigen Schlüsse präzise ziehen und Theorien entwickeln.

[QUOTE]Wenn Neurophysiologen oder Evolutionsbiologen mal wieder stolz verkünden, endlich den ultimativen "Grund" für ein gewisses Verhaltenspotential (meinetwegen auch Mitleid) gefunden zu haben, dreht sich mir der Magen um (Schopenhauer dagegen würde nach Lesen einer Ausgabe "Bild der Wissenschaft" wohl sein polemisches Meisterstück schaffen...so viel Quatsch wie die Neo-Positivsten hat Hegel nicht mal zu seinen schlechtesten Zeiten formuliert).[/QUOTE]

Die Wissenschaftler selbst formulieren ihre Erkennisse in der Regel tatsächlich sachlich und korrekt, dass heisst, in deinem Beispiel wahrscheinlich als Korrelation.
Wenn aber nun z.B. eine Korrelation zwischen der Intelligenz von Beamten und ihrem Alkoholkonsum gefunden wurde, kann es trotzdem gut sein, dass irgendwelche Medien meinen müssen zu verkünden, dass Beamtentum intelligente Menschen zum Saufen bringt oder wahlweise das Alkohl die Intelligenz von Beamten steigert.
Meiner Erfahrung nach ist das aber in der Regel nicht den Wissenschaftlern anzukreiden, ausser man bringt sie dazu Werbung machen zu müssen, dann neigen sie auch selbst zu "knackigeren" Formulierungen.

[QUOTE]Das ist dann endlich eine klare Ansage und ich weiß jetzt, dass du das kantische Ding an Sich als Theorie nicht akzeptierst (das überrascht mich nicht mehr wirklich, irritiert mich aber noch insofern, dass du dich ganz zu Anfang des Threads von Nietzsche so begeistert gegeben hast).[/QUOTE]

Ich bin überzeugter Rosinenpicker, was Philosophie angeht, ich verscheibe mich nicht den Lehren eines Philosophen, sondern nehme mir, was mir richtig oder brauchbar erscheint.

[QUOTE]Jetzt werde ich allerdings auch mal Klartext schreiben: ich hab keine Lust, mir die Mühe zu machen, dir Kants Epistemologie und die Gründe dafür nahezubringen, nur damit du am Ende evtl. nachvollziehen kannst, warum der Begriff Mitleid als Ding an Sich einer metaphysischen Begründung bedarf, von der du sowieso (quasi a priori...) meinst, dass sie für dich keine Bedeutung hätte, weil dir eine physische vollauf genügt.[/QUOTE]

Wie du möchtest.

[QUOTE]Wenn du es verstehen willst, dann tu dir den Gefallen und lies dir zumindest ein paar der 100 Seiten durch.[/QUOTE]

Ich habe mir sein Hauptwerk als pdf runtergeladen, da es aber 2372 Seite sind und ich nicht weiss, welche Stellen tatsächlich hier bei der Diskussion helfen, habe ich das erstmal aufgegeben.

[QUOTE]Dabei bedarf er einer Menge Anhaltspunkte aus der Erscheinungswelt (u.a. nutzt er die Geschichte, die Kunst, die Philosophie der Weltreligionen, psychologische Betrachtungen und Beispiele aus der Lebenserfahrung) und muss am Ende doch "den Sprung wagen" - d.h. darauf bauen, dass der Leser anhand der vielen angeführten Erscheinungsformen des einen Ding an Sich dessen Wesen intuitiv (da logisch nicht möglich) erkannt hat.[/QUOTE]

Intuition ist auch nur das unbewusste Anwenden von Erfahrungen und Logik.
Wenn Schopenhauer nicht in der Lage war die Argumente explizit zu formulieren, sondern darauf vertraut, dass der Leser sie implizit (unterbewusst) erkennt, dann spricht das gegen die Vollständigkeit oder Qualität von Schopenhauers Begründungen.

[QUOTE]Schopenhauer untersucht generell Erscheinungen und glaubt, dass er dem Leser durch Aufzählen von Gemeinsamkeiten dieser Erscheinungen ein Gefühl für das Ding an Sich dahinter geben kann (das wirst du jetzt eine ganz normale logische Kategorierung nennen und ohne konkrete Beispiele aus Schopenhauers Feder könnte ich dir nicht mal widersprechen). [/QUOTE]

Ich bestreite nicht das Ding ansich, sondern ich sage, genau diese Gemeinsamkeiten sind das Ding ansich (Oder es wird damit zur Definitionsfrage, ob ich es bestreite, wie du möchtest). Ich bestreite aber, dass es noch irgendwie "dahinter" ist, das halte ich für eine naive Vorstellung, die man den alten Philosophen bei ihrem Kenntnisstand aber nicht übel nehmen kann.
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Motto: fire walk with me

[*] Verfasst am: 30.3.2007 um 19:35


Arne schrieb:
QUOTE]Die Diskussion, die ihr hier führt, ist ja nicht neu. Und das sind einfach die letzten Diskussionsansätze, die hinzu gekommen sind, dass man eben versucht, diese Fragen nach den rein naturwissenschaftlichen Möglichkeiten des menschlichen Gehirns zu beantworten.[/QUOTE]

Gut, da sind wir uns ja einig, dass das völliger Quatsch ist, bzw. dass sogar der Ausdruck "Korrelation" noch viel mehr impliziert, als in einer bunt ausgemalten fMRT-Aufnahme des menschlichen Hirns eigentlich vorhanden ist. Schopenhauer würde sagen, dass empirirische Daten den intelligiblen Charakter nicht zu fassen vermögen, Kant würde sich der Diskussion ganz verweigern, da er schon für die praktische Vernunft keine kausalen Verhältnisse mehr anerkennt.

[QUOTE]Nur auch in der Pädagogik hat sich das durchgesetzt, dass man davon ausgeht. dass der kategorische Imperativ eine normale Entwicklungsstufeist, auf die ein Kind so ungefähr bei der Pubertät von selber drauf kommt als zwangsläufige Entwicklung. [/QUOTE]

Das ist für mich ebensosehr eine self-fulfilling-prophecy wie die Gehirnausmalarbeiten der Neurobiologen. Wer sehen möchte, dass jedes Kind die vereinfachte Form des kat. Imp. 'was du nicht willst, dass man dir tu...' quasi von selbst entwickelt, der wird genau das auch Sehen und 'empirisch' beweisen können. Aber unsere ganze Kultur ist IMO sowieso viel zu sehr von Kants Respektethik infiziert (glücklicherweise interessiert es an unserer Schule die meisten Lehrer aber auch nicht, was der Herr Steiner zum moralischen Entwicklungsgang des Kindes zu sagen hatte).
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Benway




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[*] Verfasst am: 30.3.2007 um 19:39


xoc schrieb:
[QUOTE]Ich halte das für eine zu krasse Reduzierung.[/QUOTE]

Mh, ich nicht, nur für konsequent zu Ende gedacht...damit wir uns so langsam mal darauf einigen können, zu disagreeen, würde ich aber mal sagen, dass höchstwahrscheinlich beide Ansichten noch im legitimen Interpretationshorizont des kat. Imp. enthalten sind.

[QUOTE]Und ich sehe auch nicht, dass der K.I selbst etwas mit Respekt zu tun hat.[/QUOTE]

Nein, und das habe ich auch nicht behauptet. Wenn ich von Respektsethik im Gegensatz zu Mitleidsethik schreibe, dann bin ich schon knietief im Psychologisieren, d.h. ich behaupte zu wissen, warum Kant so etwas wie den kat. Imp. geschrieben hat und warum er dieses Prinzip für eine taugliche Ethik gehalten hat.
Weil es gerade so gut passt und denke ich in dem Punkt einiges klarstellen wird, hänge ich im nächsten Posting mal einen Text an, den ich letzte Woche erst wieder auf einer nicht mehr benutzten Festplatte entdeckt habe. Da kannst du dann lesen, was ich im Alter von 11 Jahren über Kant und Schopenhauer dachte und im Grunde wohl immer noch denke.

[QUOTE]Um noch etwas positives zum K.I zu sagen: Ist dir aufgefallen, dass Gerechtigkeitsempfinden quasi ein von der Natur impelementierterKategorische Imparativ ist?[/QUOTE]

Ja, aber irgendwie nur negativ ;)...was ist moralisch verwertbar an der Tatsache, dass ich für die selbe Arbeit die selbe Anzahl Äpfel haben will wie der andere? Diese Art von Verhalten lässt sich nun wirklich prima als evolutionärer Prozess erklären und damit wird es eben beliebig, soll heißen alles was wir darüber sagen können ist, dass es funktioniert und dass dieses Funktionieren der "Grund" dafür ist.

[QUOTE]Was aber nicht Quelle meiner Aussage war, weswegen du dir die Entwertung des Erkennisgewinns auch hättest sparen können [/QUOTE]

Na dann Glückwunsch ;) Wenn du dich jetzt allerdings angegriffen fühlst, weil ich dir unterstellt habe, keine Erkenntisarbeit geleistet zu haben, dann steckst du nach meinem System ganz tief in der Respektsethik...

[QUOTE]Leider sind meine üblichen Denk- und Sprachkategorien nicht geeignet die von dir angesprochenen Probleme zu denken oder zu formulieren,weswegen ich davon ausgehe, dass sie Scheinprobleme "deiner" Denk- und Sprachkategorien sind.[/QUOTE]

Nun, wenn du dir da so sicher bist, dann hast du auch recht und ich kann dir nicht widersprechen. Selbstverständlich entscheidet meine Fragestellung darüber, was ich als Antwort zu akzeptieren bereit bin. Gerade dieses Bewusstsein vermisse ich an anderer Stelle aber ganz entschieden bei dir. Was die aktuelle Anmerkung angeht, sind dann natürlich alle jemals gestellten Probleme nur Scheinprobleme, was uns aber nicht daran hindern sollte, sie alle ein paar hundert Seiten lang zu diskutieren.

[QUOTE]Ja, ich schliesse von (II.) auf (I.), aber (III) ist recht beliebig, bzw Konvention, muss also nicht geschlossen werden.[/QUOTE]

Wie willst du irgendeine abstrakte Kategorie ohne Erfahrung (oder noch banaler: ohne Hirn) aufstellen? Wie kann man überhaupt Kategorien machen, ohne dass man aus der Erfahrung Inhalte nimmt, die man in diese einsortieren könnte? Oder wie willst du auf den Apfel, der "tatsächlich" am Baum hängt schließen ohne durch die Erfahrung von einem "Apfel" zu wissen? Die Einteilung die du vorbringst ist recht geläufig, Déscartes bringt noch eine ganz ähnlich vor (d.h. er unterschiedet immerhin schon zwischen dem, was wir wahrnehmen und dem, was man als die Quelle dieser Wahrnehmung vermuten könnte). Kant räumt damit auf, indem er sagt, dass wir a posteriori über nichts Bescheid wissen können, was über unsere Wahrnehmung hinsausgeht. Der einzige Weg, auf dem man auf die "Quelle" einer Erscheinung schließen könnte ist a priori und dann landet man beim Ding an Sich.

[QUOTE]Du scheinst die moderneren Theorien als eine Degeneration der alten Philosophen zu betrachten? Ich denke viel mehr, dass sie historischeGrundlagen besser formulierter und besserer Theorien sind.[/QUOTE]

Viel einfacher, die modernen Neurophysiologen haben Kant überhaupt nie gelesen und machen deshalb Fehler wie man sie seit 200 Jahren nicht mehr für möglich gehalten hätte. Die modernen philosophischen Theorien (deren Urheber Kant meistens ja wenigstens aus zweiter Hand kennen) halte ich teilweise für eine Degeneration der älteren Epistemologie. Aber immerhin traut sich bis heute nicht mal ein Herr Habermas, den Gegensatz zwischen Erscheinung und Ding an Sich für aufgehoben zu erklären, auch wenn es ihm teilweise richtig weh tut, akzeptieren zu müssen, dass menschliche Erkenntnis ihre Grenzen hat.

[QUOTE]Die Wissenschaftler selbst formulieren ihre Erkennisse in der Regel tatsächlich sachlich und korrekt, dass heisst, in deinem Beispielwahrscheinlich als Korrelation. [/QUOTE]

Also wenn sie gerade in der "Bild der Wissenschaft" schreiben dann tun sie erschreckenderweise nichtmal das, dann ist die verschwindend geringe Differenz der neuronalen Aktivität zwischen einem Hirnabschnitt und den restlichen Sektoren ganz schnell mal der "Grund" für einen beobachtbaren Affekt beim Menschen. Solange renommierte Neurowissenschaftler, denen die selben Messdaten vorliegen, aber noch in der Lage sind, völlig verschieden angemalte bunte Gehirnbildchen zu produzieren (kommt halt ganz darauf an, in welcher Hirnregion man den "Grund" für ein beobachtbares Phänomen zuerst vermutet, bei den verschwindend geringen quantitativen Unterschieden, wie sie die modernen bildgebenden Verfahren sichtbar machen, findet man dann da garantiert einen "signifikanten" Ausschlag) geht das für mich nicht mal als Korrelation durch.
Eine statistische Korrelation wie in deinem Beispiel ist da schon ein ganzes anderes Kaliber. Mir ging es gerade um den Missbrauch der mit bildgebenden Verfahren zur Zeit betrieben wird, da ist die Kacke gerade am stärksten am Dampfen.

[QUOTE]Ich bin überzeugter Rosinenpicker, was Philosophie angeht, ich verscheibe mich nicht den Lehren eines Philosophen, sondern nehme mir, was mirrichtig oder brauchbar erscheint.[/QUOTE]

Du musst dich aber schon entscheiden, ob ein Baum jetzt beim Umfallen ein Geräusch macht, wenn keiner hinhört oder nicht, da kommt man seit Kant nicht mehr drum herum.

[QUOTE]Intuition ist auch nur das unbewusste Anwenden von Erfahrungen und Logik.[/QUOTE]

Ich hab absichtlich "Intuition" geschrieben und nicht "Erkenntis a priori", damit der Sinn vielleicht verständlicher wird, das ging somit nach hinten los und ist ein Argument für sprachliche Exaktheit zuungusten der Verständlichkeit.

[QUOTE]Wenn Schopenhauer nicht in der Lage war die Argumente explizit zu formulieren, sondern darauf vertraut, dass der Leser sie implizit(unterbewusst) erkennt, dann spricht das gegen die Vollständigkeit oder Qualität von Schopenhauers Begründungen.[/QUOTE]

Für den Vorkantianer und den modernen Empiriker schon, für Menschen, die erkannt haben, dass das Vorhandensein von Schallwellen beim Umfallen eines Baumes von der Existenz eines Schallwellenmessgeräts abhängt, eher nicht, für die ist das sogar die einzige Art, überhaupt irgendwas zu erkennen.

[QUOTE]Ich bestreite nicht das Ding ansich, sondern ich sage, genau diese Gemeinsamkeiten sind das Ding ansich (Oder es wird damit zur Definitionsfrage, ob ich es bestreite, wie du möchtest). Ich bestreite aber, dass es noch irgendwie "dahinter" ist, das halte ich für eine naive Vorstellung, die man den alten Philosophen bei ihrem Kenntnisstand aber nicht übel nehmen kann.[/QUOTE]

Also gut, dann leg dir eben mir zuliebe einen neuen Namen für diese Vorstellung vor, "Ding an Sich" hat Kant auf jeden Fall schon für das vor der Erfahrung (und damit jenseits von Gemeinsamkeiten liegende) reklamiert. Tja, und ich halte die Zweiteilung in Erscheinugnswelt und Ding an Sich für das tiefsinnigste, was menschliches Denken hervorgebracht hat, eben weil sie so schonungslos ehrlich und überhaupt nicht naiv ist. ich finde eher den naiven Positivismus unserer Zeit...nun, naiv ;) Aber schreib doch mal, welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse Kants Erkenntistheorie nun widerlegen.
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